Gegendertes CiviCRM

Bei Viva con Agua habe ich gerade die Anforderung, die Bezeichnung von Kontakten mal richtig zu gendern.

Das ist ja nicht so schwer bei

  • Bezeichnungen von Custom-Feldern („Ansprechpartner*in Wasser-Vertrieb“)
  • Bezeichnungen von Beziehungen („Ansprechpartner*in Aktionen in Crew“)

Aber es gibt ja auch noch Standardfelder im Kontakt wie „Arbeitgeber“.

Hat das schon mal jemand gemacht und gibt das Sinn für eine gemeinsame Initiative beim Übersetzen?

Hallo @umeyermartin, das ist in der Tat ein gutes, wenn auch komplexes Thema. Ich selbst wollte schon mehrfach einfach mal loslegen und komme immer wieder an einen Punkt, an dem ich mich gern austauschen würde, bevor ich einfach irgendwas vereinheitliche oder gar umkremple. Es gibt nämlich leider eine Reihe von Gründen, warum das in der Praxis alles andere als trivial ist. Ich habe das mit den Kollegen mal versucht zusammenzutragen, auch wenn es sicher noch mehr Hürden gibt:

  • Gendern ist ja nicht gleich Gendern. Es herrscht im Transifex bereits jetzt ein wildes Durcheinander an Übersetzungen: Wo nicht generisches Maskulinum verwendet wird, gibt es mal Sternchen, mal Schrägstrich, mal Doppelpunkt und mal männlich und weiblich in einer Formulierung. Und das sind ja noch nichtmal alle Ansätze für eine gendergerechter(e) Sprache!

  • Es gibt leider nicht oft die eine Stelle, an der das jeweilige Wort vorkommt. Ein Beispiel aus unserem Civi-Alltag: „client“ gibt es derzeit in den Übersetzungen „Klient“, „Klient:in“, „Client“, „Fallklient:in“ und „Fallklient(en)“. Dein Beispiel „Arbeitgeber“ kommt übrigens an mindestens 33 Stellen in verschiedensten Kontexten vor. Dabei reicht es oft nicht, einfach drauflos zu übersetzen (oder zu korrigieren), sondern man sollte sich den Kontext anschauen, wobei ein und derselbe Übersetzungsstring (im Sinne einer Wortgruppe oder eines Satzes) auch gerne mal an verschiedenen Stellen zum Tragen kommt, aber eigentlich für den jeweiligen Kontext unterschiedlich übersetzt werden müsste.

  • Das Zusammenspiel von technischen Restriktionen bei Übersetzungen, Grammatik und Genderregeln ist schwierig! Ein Beispiel: Worte wie „any“ in Zusammenhang mit Variablen müssten im Deutschen anders als im Englischen meist durchdekliniert werden („beliebige, beliebiger, beliebiges, beliebigem“) und machen entsprechend auch so schon oft Probleme. Gendern macht es hier dann nochmal komplexer, wenn zum eigentlich gegenderten Wort noch „seiner/ihrer“ o.ä. oder gar ganze Wortgruppen für das jeweilige Geschlecht durchdekliniert werden müssten.

  • das Deutsche ist wegen des Prinzips der zusammengesetzten Worte oft sowieso schon durchwachsen von „Wortmonstern“, die sich besser für Galgenraten eignen als für ein Benutzerinterface, das möglichst übersichtlich auf den unterschiedlichsten Ausgabegeräten sein soll. Durch einige Gender-Ansätze werden Worte noch zusätzlich „verlängert“ – ich übertreibe mal: Veranstaltungsteilnehmer*innenstatus :smiley: Da CiviCRM aus dem englischsprachigen Raum kommt, wo man eher mit kurzen Worten hantiert, zerschießen sehr lange deutsche Worte schnell das Layout und machen eine Kontaktübersicht plötzlich nicht mehr ganz so übersichtlich. Das sollte man beim Übersetzen im Hinterkopf behalten … dieses Beispiel zeigt, dass es auch ohne Gendern schon teilweise unschön wird: selbst an einem Desktop-Rechner mit großem Monitor reicht der vorgesehene Platz nicht
    sofortnachrichtendienst

  • Leider kann man im Transifex nicht so einfach erkennen, ob ein Übersetzungs-String

    • Bestandteil von Code ist, der für den praktischen Einsatz von CiviCRM wenig relvant ist (seltsamerweise werden auch Code-Kommentare für die Übersetzung angeboten),
    • ein String für das CiviCRM-Backend ist (also Navigation, Beschriftung oder Hilfetext für den Benutzer) → hier könnte man ggf. zugunsten der Übersichtlichkeit und Benutzbarkeit aufs Gendern verzichten)
    • oder ob es sich um Text handelt, der im Frontend an Außenstehende gerichtet ist, wie Bestätigungsnachrichten o.ä., wo Gendern am ehesten „gebraucht“ wird
  • CiviCRM ist ein Community-Projekt – daher sind gemeinsame Regeln für’s Gendern unbedingt ein Community-Thema. So ein Prozess will gut organisiert sein und mit den vorhandenen Initiativen ineinander greifen. Wir finden übrigens, dass es die CiviCRM Community Guidelines hier ganz gut auf den Punkt bringen – es braucht dabei drei anspruchsvolle Dinge in der richtigen Mischung: „Do-ocracy“ und „Collaboration“ und „Promotion“.

Fazit: Unserer Meinung nach ist das Genderthema eines, das zuallererst eine Gruppe von Fürstreiter*innen braucht, die sich für dieses und weitere Übersetzungsbelange in der deutschen Community mit langem Atem stark macht und dauerhaft Freude daran hat, diese kniffelige Aufgabe konzentriert-systematisch und gleichzeitig offen, partizipativ und transparent anzugehen.

Diese Gruppe sollte wohl erstmal eine Bestandsaufnahme machen und Themen zusammen mit der Community sammeln und strukturieren. In weiteren Schritten müssten dann themenbezogen Übersetzungsrichtlinien entstehen, für die es eine allgemeine hohe Akzeptanz gibt und die auch funktionieren.

Einen Ort dafür gibt es bereits mit einem Translation Guide. Dieses Dokument ist ein Anfang, zeigt aber zugleich, wie viel noch zu tun ist. Viele der Angaben darin sind sicher nochmal zu hinterfragen. Wir verstehen zwar zum Beispiel den Grundgedanken hinter „Schreibe zusammengesetzte Wörter als mehrere einzelne Wörter“ (s.o.), leider wirkt das Ergebnis so einer Vorgabe entweder umständlich formuliert, nicht besonders intuitiv bei Hilfetexten oder schlicht falsch.

Auch gab es im Mattermost-Kanal „deutschsprachig“ immer mal wieder ein paar zaghafte Vorstöße.

Richtig wichtig finden wir für den Community-Anschluss z.B. den geplanten Translation Sprint in Portugal – auch wenn der pandemiebedingt noch immer in der Luft hängt, wäre das für oben benannte Fürstreiter*innen eine Möglichkeit, im globalen Umfeld die deutsche Übersetzung weiterzubringen.

P.S.: Übrigens ist eine wichtige Frage auch, ob andere Übersetzungsthemen nicht ehrlicherweise weniger zeitgeistig, aber noch viel drängender sind. Hier ein einfaches und ein komplexeres Beispiel:

  • Wenn man eine Veranstaltung als Teilnehmer*in stornieren wollte, erhielt man bis vor Kurzem die Auswahl „abbrechen“, weil „cancel“ halt systemweit so übersetzt wurde. Gemeint war aber: „stornieren“. Das war so irreführend, dass die gesamte Stornierungsfunktion praktisch nicht wirklich benutzbar war. Solche Probleme gibt es leider nicht wenige. Diese originelle Lösung zeigt aber, dass solche Probleme dennoch manchmal auch einfach zu beseitigen sind.

  • Man kann in CiviCRM konfigurieren, ob Kontakte generell per Sie oder Du angesprochen werden (über die Kommunikationsstil-Optionen → die Standard-Auswahl bestimmt darüber, welcher Anredstil in neuen Kontakten hinterlegt wird, woraus sich dann wieder die Grußformeln ableiten lassen). Die Übersetzungen sollen nun laut o.g. Guide generell in der Sie-Form erfolgen (wobei im Transifex leider ein Mix aus Du und Sie und indirekten Formulierungen herrscht!) – im Englischen gibt es halt nur eine Form. Wenn man nun generell mit Du anreden möchte, was immer mehr Organisationen wollen, hat man ein Problem – vor allem in den systemgenerierten Nachrichtenvorlagen. Sinnvoll wären vermutlich zwei Übersetzungen, einmal Du und einmal Sie (formal/informell). Wodurch dann aber sofort wieder neue Fragen wie Pilze aus dem Boden schießen …

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Hallo Romy, erst mal willkommen in der Community!

Ich bin sehr beeindruckt von deinem Beitrag, der sehr gut die vielen Einflussfaktoren auf das Thema zeigt. Wir bei Viva con Agua werden wohl auch erstmal die Quickwins bei Beziehungen und Custom-Feldern mitnehmen und das große Thema erst mal lassen.

Ich denke auch, dass es noch vordringlichere Übersetzungsthemen als das Gendern gibt.

Wir haben uns zu dem Thema beim Sprint ein wenig austauschen können.

Wir würden hier hier eine Abstimmung vorschlagen, welche Form des Genderns zukünftig für die deutschsprachige CiviCRM Community standardmäßig verwendet wird:

Mehrgeschlechtlich

  • Gendersternchen (Spender*innen)
  • Gender-Doppelpunkt (Spender:innen)
  • Gender-Gap (Spender_innen)

Neutralisierung

  • Geschlechtsneutralte Bezeichnung: (Spendende)

Zweigeschlechtlich

  • Binnen-I (SpenderInnen)
  • verkürzte Paarform (Spender/-innen)
  • vollständige Paarform (Spender und Spenderinnen)

Eingeschlechtlich

  • Generisches Maskulinum (Spender)
  • Generisches Feminum (Spenderinnen)

In Transifex ist es dann das Ziel, Übersetzungen mit einem einheitlichen Stil beim Gendern zu verwenden. Organisationen, welche mit dieser Form des Genderns unglücklich sind, hätten dann über die Wortersetzungen die Möglichkeit für individuelle Anpassungen.

Wir wollen nicht zwischen Frontend- und Backend-Übersetzung unterscheiden und die Übersetzungen einheitlich gestalten. Die konkrete Umsetzung in Transifex wird dann Fleißarbeit sein, welche sicherlich ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird und von vielen fleißigen Händen profitiert.

Gibt es Anregungen und Kritik zu diesem Vorgehen?

Falls Ihr noch andere Varianten zur Wahl gestellt bekommen wollt, dann gebt gerne eure zusätzlichen Varianten an. Wir wollen die Abstimmung am 15.06.2022 für 2 Wochen starten.

Liebe Grüße vom Community-Sprint aus Berlin
Thomas

Nach Gendergerecht und barrierefrei – Gendersternchen macht das Rennen | Agentur für digitale Barrierefreiheit Barrierekompass und Gendern - Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. können wir IMHO : und _ streichen.

„Generisches Maskulinum (Spender)“ sowie Zweigeschlechtlich macht viele Menschen unsichtbar.

Das sollte vielleicht als wirklich offene Wahl zur Auswahl stehen, aber meiner Ansicht nach nicht gewählt werden.

Vielen Dank für eure Arbeit.

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Mir bereitet es Bauchschmerzen, dass binäre Schreibweisen „das Rennen“ machen, aber ich kann’s auch nachvollziehen. Denn solange es z.B. keine allgemein verständlichen nicht-binären Pronomen gibt, ist es schwierig, alle sichtbar zu machen. Es geht ja nicht nur ums Gendern von Navigation-Punkten oder Beschriftungen, sondern auch um z.B. ausformulierte Hilfe-Texte.

Danke für diesen Aufschlag! Ich hätte in der Tat zwei Anregungen zum Vorgehen:

  1. Da die Nutzer*innenbasis hier im Discourse ja noch am wachsen ist, sollte m.E. die Info zur Abstimmung und zur Möglichkeit sich einzubringen noch auf weiteren Kanälen geteilt werden. Auf Mattermost gab es ja in deutschsprachig schon einen post – vielleicht sollte auch noch einer auf translation folgen? Ich war außerdem so frei, auf civicrm.org einen Beitrag zu posten. Die Mailinglist wäre (noch) ein weiterer Kandidat. Vielleicht hat jemand noch weitere Ideen?
  2. Ich würde sehr dafür plädieren, nach der Abstimmung und vor dem Übersetzungsstart klare Regeln mit guten Beispielen im Translation Guide für Deutsch zu formulieren , damit wir zu möglichst guten und einheitlichen Übersetzungen kommen.

Hey @tschuettler,

nochmal ich. Weil es hier nicht explizit stand: Die Abstimmung sollte m.E. nach Mehrstufig sein. Also erst nach Mehrgeschlechtlich, Neutralisierung etc. abstimmen und dann nach Einzelform.

Denn eine Abstimmung mit dem Ergebnis:
30 % *
30 % :
40% Generisches Maskulinum

und dann nehmen wir Generisches Maskulinum wäre nicht gut.

Die Abstimmung zum Gendern in der deutschprachigen CiviCRM-Community ist jetzt online. Ihr könnt euch bis 29.06.2022 beteiligen:

Danke an alle für ihr Feedback :slight_smile:
Macht gerne Werbung für die Abstimmung an den Orten, wo sich relevante Teile der deutschsprachigen Community finden.