Wo kommt eigentlich meine (freie) Software her? Und: Ist Idealismus bei Freier Software fehl am Platz? (Teil 3)

Beim CiviCRM-Stammtisch am 30.11.2023 hatte ich die Gelegenheit, ein paar schwierige und in der deutschsprachigen CiviCRM-Community weniger gern besprochene Themen vorzustellen und zu diskutieren (vielen Dank an Nina und Ulrich für die Einladung!). Der Vortrag wurde interessiert, angeregt und teils auch nachdenklich aufgenommen. Daher führe ich meine Anliegen hier in einer kleinen Artikelreihe nochmal aus, in der Hoffnung, der Community ein paar Denkanstöße zu geben und die Diskussion anzuregen.

Bisher erschienen:
Teil 1: Neugierig sein lohnt sich, oder: Woher kommen eigentlich meine CiviCRM-Extensions?
Teil 2: Wo kommt eigentlich meine (freie) Software her? Und warum ist SYSTOPIA so “teuer”?

Teil 3: Fehlende Nachhaltigkeit in der CiviCRM-Community

Als ich letztes Jahr verstärkt anfing, u.a. beim CiviCRM-Stammtisch und in dieser Reihe von Artikeln unsere Sorgen als Software-Entwickler für die Community nach außen zu tragen, hatte ich mir etwas mehr davon erhofft. In den letzten Monaten hat sich angesichts des sehr geringen Feedbacks ehrlich gesagt ziemliche Ernüchterung eingestellt.

Vor einigen Wochen führte ich ein Gespräch mit einer außenstehenden Person, das mich erst etwas geärgert hat, und das mir dann doch wertvolle Denkanstöße gegeben hat. Diese Person sagte mir in etwa dies: „Dass ihr keine Reaktion darauf bekommt, liegt daran, dass ihr mit fehlgeleitetem Idealismus an die Sache geht. Den allermeisten Leuten geht es vor allem darum, etwas zu möglichst günstigen Kosten zu bekommen. Warum sollten sie euch also freiwillig Geld geben? Solange ihr es ihnen freistellt, etwas beizutragen, werden sie es einfach nicht tun.“

Inzwischen glaube ich, dass wir uns auf diese bedauerliche Wahrheit einstellen müssen, auch wenn ich es erst nicht so recht wahrhaben wollte. Dass nicht jede*r freiwillig einen Beitrag leistet, wenn er*sie nicht unbedingt muss - das war ja zu erwarten. Aber praktisch niemand? Sollte nicht wenigstens einem Teil der Community unsere Software-Tools wichtig genug sein, sei es, weil sie zentrale Organisationsprozesse unterstützt, sei es, weil man als Dienstleister Geld damit verdient?

Tatsächlich ist das Problem der Nachhaltigkeit von Freier Software ja weit verbreitet und sorgt in vielen Bereichen für massive Probleme. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Sicherheitskatastrophe (nicht übertrieben) für die komplette Infrastruktur des Internets nur knapp abgewendet [Aktenzeichen XZ ungelöst | heise online]. Dazu wäre es beinahe gekommen, weil eine wichtige Komponente, die auf Linux-Servern verwendet wird, ehrenamtlich von einem einzelnen, völlig überlasteten Entwickler betreut wurde. Diesem wurde gezielt Schadcode untergeschoben, den er letztlich ohne ausreichende Prüfung annahm. (Am Rande: Es scheint also wohl doch Sinn zu machen, als Software-Maintainer nicht alles bedenkenlos anzunehmen. Eingereichte Code-Änderungen zu prüfen, macht aber nochmal mehr Aufwand usw. usf.)

heise.de geht auch pointiert auf das zugrunde liegende Problem ein: „Die Open-Source-Ideologie hat es über die Jahre und Jahrzehnte geschafft, den Wert unserer Zeit als Entwicklerinnen und Entwickler zu untergraben. Denn seien wir ehrlich: Für die meisten geht es bei Open Source nicht primär um den Zugang zum Quellcode, sondern um die Kostenfreiheit.“

Das scheint nun in unserer Community von Nonprofit-Organisationen nicht anders zu sein als in der gewinnorientierten Wirtschaft. Es wird zwar gern vom „Gemeingut Freie Software“ geredet - in der Praxis können wir aber eher eine Art „Tragödie der Gemeingüter“ beobachten. Wenn auch bei uns nicht die Sicherheit des ganzen Internets auf dem Spiel steht, sehe ich es daher inzwischen als unsere eigene Verantwortung, unser Geschäft auf eine stabilere Basis zu stellen und mehr Anwender*innen unserer Extensions in die Pflicht zu nehmen. Denn die CiviCRM-Community hat, offen gesagt, ein erhebliches Nachhaltigkeitsproblem: Sehr wenige entwickeln, einige zahlen, viele bedienen sich.

Inzwischen sind wir bei SYSTOPIA also einen Schritt weiter: Wir haben verstanden, dass wir auf freiwillige Unterstützung nicht ohne Weiteres zählen können. Moralische Appelle sind hier offensichtlich auch fehl am Platz. Es bleibt uns also zu überlegen, wie wir unser Angebot verändern können, damit mehr Anwender*innen bereit sind, einen Beitrag zu leisten.

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Lieber Martin,

wir haben uns als SfE über die Fragen der Nachhaltigkeit der für uns
alle so wichtigen CiviCRM-Extensions und von CiviCRM Gedanken gemacht
und haben in den letzten Jahren beispielsweise durch unser neues Projekt
#CiviOneClick versucht, das zu fördern. Wir glauben auch, dass wir
beispielsweise unsere Vernetzung nutzen können, um Project60 (wieder) zu
beleben, für das ihr beim CiviCamp 2024 in Leipzig geworben habt.

Als Vorstand von Software für Engagierte laden wir daher alle
Interessierten zu einem Austausch zu diesem Thema am Montag, 13.05. um 17 Uhr in
unser BigBlueButton ein:

https://cloud.software-fuer-engagierte.de/index.php/apps/bbb/b/iCMqEbEDz4EpKDNa

Viele Grüße
Benedikt

Lieber Benedikt,

vielen Dank für die Rückmeldung, wir sind gespannt auf eure Ideen.

Der Beitrag zu Project60 in Leipzig ist evtl. etwas missverstanden worden. In der früheren Form möchten wir das jedenfalls nicht wiederbeleben, das war für uns (offensichtlich) nicht nachhaltig.

Viele Grüße
Martin

Lieber Martin,

dann kommt gerne in unseren Talk. Ich hatte Euch ja vorgeschlagen, wie man mit project60 weiter verfahren könnte und auch, dass wir in unterschiedlichen Rollen als SfE und forumZFD da Ressourcen hätten.

Ich denke es wäre dann also gut, gemeinsam Optionen zu diskutieren.

LG
Bene

Lieber Benedikt,

wahrscheinlich müssen wir wohl noch besser verstehen, wie ihr euch das konkret vorstellt. Ich gucke mal, ob ich es am 13. 5. schaffe - ich bin da eigentlich im Urlaub.

Viele Grüße
Martin

Hallo Martin,

ich verstehe, worauf Du mit Deinem Text hinaus willst und ich stimme Dir zu, dass Open-Source-Software häufig als kostenlose Software missverstanden wird – was sie einfach nicht ist!

Ich kann auch den Frust verstehen, wenn sich zeigt, dass Teile der Community anscheinend nicht bereit sind, auch etwas zurückzugeben.

Allerdings möchte ich zwei Argumente „zur Verteidigung“ der Community und des Open-Source-Ansatzes anbringen:

  1. CiviCRM wird naturgemäß hauptsächlich von NPOs und gemeinwohlorientierten Vereinen genutzt. Das Entwickeln von Code gehört nicht zu deren Kernaufgaben und solche Investitionen sind sowohl intern als auch gegenüber Dritten häufig schwierig zu begründen. Geld ist in dieser Branche immer knapp.

  2. Auch CiviCRM-Dienstleister*innen sind Nutznießer*innen des Open-Source-Codes. Ohne die Code-Basis, die durch viel Freiwilligenarbeit und Investitionen aus Spenden und Fördertöpfen aufgebaut wurde, würden auch Dienstleister*innen kein Geld verdienen.

Alles in allem stimme ich Dir aber zu, dass wir neue Wege finden müssen, um Extensions, auf die wir alle angewiesen sind, nachhaltig zu maintainen.

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Lieber Marc,

vielen Dank für den Beitrag.

Zu deinen Punkten:

  • Ja, wir werden als Entwickler unser Angebot wahrscheinlich so umgestalten und kommunizieren müssen, dass es begründbar und evtl. auch notwendig sein wird, etwas dafür zu bezahlen. Alles immer sofort kostenlos wegzugeben, wird dann vielleicht nicht mehr möglich sein - so wie das Core-Team mit der LTS-Version, die es ja nur gegen Zusatzbeitrag gibt, versucht, etwas Funding für die Core-Entwicklung zu generieren. Organisationen, die selbst entwickeln, würde ich davon eher ausnehmen.
  • Bezüglich der Dienstleister gebe ich dir völlig recht, ich unterscheide auch zwischen solchen, die selbst entwickeln (wie z.B. CiviCoop) und solchen, die ausschließlich die Software anderer verwenden, ohne selbst etwas zu entwickeln. Der Core ist natürlich ohnehin eine eigene Sache - aber da zahlen wir als Gold-Partner ja auch ca. 5.000 Euro im Jahr als Beitrag und machen zusätzlich auch noch Entwicklungsbeiträge. Ist also auch nicht so, als würden wir uns unsererseits kostenlos beim CiviCRM-Core bedienen.

Viele Grüße
Martin

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Lieber Martin,

danke für deine offene Antwort. Ich lese daraus auch, dass Ihr Bedarfe habt, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Ich würde mich wirklich freuen, wenn unser Angebot für einen Austausch am 13. Mai breit wahrgenommen würde. Beim Lesen ist mir spontan der Gedanke gekommen, ob SfE nicht die Rolle einer „Free Software Foundation Deutschland für CiviCRM“ übernehmen muss.
Als SfE sind wir aber nicht nur der Vorstand, wir brauchen da auch die NPOs, die CiviCRM benutzen. Ich würde da wirklich gerne mit allen diskutieren, wie wir da weiterkommen.

Vielleicht können wir noch mehr Ideen gemeinsam wälzen, dann bin ich optimistisch, dass wir zu einer guten Lösung im Sinne aller kommen. Ich glaube im gemeinsamen Austausch kommen wir weiter als hier im Schriftlichen.

Anmelden kann man sich hier.

Viele Grüße
Bene

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Der Podcast „Lage der Nation“ hat in der letzten Folge ebenfalls über den oben genannten Vorfall und über Open Source-Software gesprochen - unter diesem Link startet der Podcast genau da, wo der Themenblock beginnt.